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Spagat zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik

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Lange hat es gedauert. Doch so allmählich macht sich in der Politik ein Paradigmenwechsel bemerkbar. Die Gesundheitswirtschaft, insbesondere die Produzenten von Arzneimitteln, Diagnostika und Medizintechnik, werden nicht mehr ausschließlich als die Profiteure des Gesundheitssystems gesehen, sondern als Hoffnungsträger. Mit ihrer Innovationskraft, mit ihrem Know-how sollen sie zum einen dazu beitragen, eine alternde Gesellschaft möglichst gesund zu erhalten und damit die Sozialsysteme zu entlasten. Zum anderen sollen sie sicherstellen, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb mit Arzneimitteln und Medizinprodukten weiterhin einen der vorderen Plätze einnimmt.

Symptomatisch für diesen erfreulich veränderten Blickwinkel ist das Rahmenprogramm zur Gesundheitsforschung, das die federführende Bundesforschungsministerin Annette Schavan gemeinsam mit Gesundheitsminister Philipp Rösler jetzt in Berlin vorgestellt hat. Die stolze Summe von fünfeinhalb Milliarden Euro soll in den nächsten vier Jahren in dieses Programm fließen.

Treibende Kraft ist offensichtlich die Furcht vor der demografischen Entwicklung. Immerhin nimmt die Zahl älterer und damit potenziell von Krankheit bedrohter Menschen dramatisch zu, während die Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik von 82 Millionen auf 70 Millionen Menschen zurück geht. Allein diese Entwicklung bedroht – findet sich keine Entlastung – die sozialen Strukturen in Deutschland.

Ziel des Rahmenprogramms zur Gesundheitsforschung ist es daher, die Qualität und Sicherheit der Gesundheitsversorgung auch in Zukunft sicherzustellen und zu steigern. Dazu sollen die Kompetenzen unterschiedlicher Fachdisziplinen, aber auch unterschiedliche Institutionen und Einrichtungen, zusammengeführt werden. Entscheidend ist, so die Bundesregierung, dass die Forschungsergebnisse schneller als bisher aus den Laboren heraus in die Regelversorgung gelangen.

Das Forschungsprogramm umfasst die sechs Aktionsfelder: Volkskrankheiten, internationale Kooperationen, individualisierte Medizin, Prävention und Ernährung, Versorgungsforschung sowie Gesundheitswirtschaft.

Da die Zahl der Menschen wächst, die an Volkskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel-, Infektions-, Lungen- und neurodegenerativen Erkrankungen leiden, gründet die Bundesregierung Zentren für Gesundheitsforschung, die universitäre und außeruniversitäre Kompetenzen in der Erwartung bündeln, rasch vorzeigbare Fortschritte zu erzielen. Erste Standorte für solche Cluster sind bereits in der engeren Wahl. Grenzübergreifend sollen darüber hinaus Kooperationen durch eine gemeinsame Forschungsinfrastruktur gefördert werden.

Mit dem Verständnis über grundsätzliche Krankheitsmechanismen wachsen auch die Chancen, einzelnen Menschen individuell zu helfen und Therapien einzusetzen, die nur ganz kleinen Patientengruppen nützen. Die Bundesregierung fördert daher neben den Erkenntnissen über die Massenkrankheiten auch die individualisierte Medizin. Sie will auch hier die Zeit zwischen Entwicklung und Vermarktung von Diagnostika und Therapeutika verkürzen, die Einzelnen oder Menschen mit seltenen Krankheiten helfen.

Geld wird auch in Untersuchungen gesteckt, die die Erfolge von Präventionsmaßnahmen nachweisen sollen. Vorsorge krankt bisher allzu daran, dass sie zunächst viel kostet und erhebliches Engagement voraussetzt, oft aber unklar bleibt, welche der Maßnahmen den größten Nutzen haben. Mehr Klarheit hier wird auch die bislang schwache Akzeptanz von Präventionsmaßnahmen erhöhen.

Die Präventions- und Ernährungsforschung verfolgt damit ähnliche Ziele wie das Aktionsfeld Versorgungsforschung, das neue, aber auch althergebrachte Versorgungsstrukturen unter die Lupe nimmt und sie daraufhin überprüft, ob sie tatsächlich halten, was man ihnen bisher unterstellte.

Die Bundesregierung anerkennt endlich auch die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Gesundheitswirtschaft, die international auf vorderen Plätzen mitspielt. „Die deutsche Gesundheitswirtschaft ist in vielen Sparten gut aufgestellt, birgt aber auch ungenutzte Potenziale, beispielsweise in der Entwicklung pharmazeutischer Produkte“, stellt das Forschungsministerium fest. Damit sich die Defizite verkleinern, sollen zum einen neue Wege des Wissens- und Technologietransfers erprobt werden. Zum anderen will die Regierung mit ihrem Rahmenprogramm dazu beitragen, die Innovationskraft der Gesundheitswirtschaft durch entsprechende Rahmenbedingungen zu erhöhen.

Die Botschaft hören die Manager der Medizintechnik-, der Arzneimittel- und der Diagnostica-Industrie wohl. Tatsächlich wird sich an diesem Punkt zeigen, wie ernst es die Politik mit der Gesundheitsforschung meint. Denn während der Staat Forschungserfolge kaum erzwingen sondern allenfalls fördern kann, könnte er die Rahmenbedingungen mit einem Federstrich per Gesetz oder Verordnung ändern. Könnte – denn gerade hier prallen sozial- und wirtschaftspolitische Forderungen und Ansichten aufeinander.

Der Bundesgesundheitsminister, der das Rahmenprogramm ideell unterstützt und den Wert der Gesundheitswirtschaft gerade in jüngster Zeit immer wieder hervorgehoben hat, sitzt hier zwischen Baum und Borke. Er muss kurzfristig die Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sichern, ohne durch seine Maßnahmen langfristige Entlastungen zu gefährden. Die Maßnahmen, die er in seinem ersten Amtsjahr ergriff, vielleicht ergreifen musste, um die GKV vor dem Kollaps zu bewahren, können wahrlich nicht als Optimierung der Rahmenbedingungen gelten. Die rasche Einführung von Innovationen in die Regelversorgung, die ja Kern des Rahmenprogramms ist, wurde – siehe frühe Nutzenbewertung – eher erschwert als erleichtert.

Verzögernd wirken auch manche Aufnahmeverfahren in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen, die die Selbstverwaltung zu verantworten hat. Die Vergangenheit zeigt, dass Produkteinführungen auch daran scheitern können, dass sie erst in Zusammenhang mit einer ärztlichen Leistung abrechnungsfähig werden: etwa Labortests. Ein solches Verfahren zur Aufnahme in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab der Ärzte kann jedoch Jahre dauern. Ein unmöglicher Zustand, der sich ändern muss, wenn das ambitionierte und sinnvolle Rahmenprogramm zu einem Erfolg werden soll.


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